Ich habe doch immer alles getan

ich habe doch alles getan

Was muss ich denn noch machen, damit ich ein guter Familienvater, Ehemann, Partner bin? Bin ich als Mann, so wie ich bin, überhaupt noch richtig? Ich habe doch immer alles getan, oder?

Diese Fragen tauchen in unseren Gesprächen mit Paaren immer wieder auf. Und da es für die Beziehung wichtige Frage sind, gehen wir ihnen hier einmal näher auf den Grund.

Wie wir Männer uns in unserer Paarbeziehung verlieren können

Wir arbeiten den ganzen Tag in unserem Job um Geld zu verdienen, damit das eigene Haus oder die Wohnung, und all die Rechnungen bezahlt werden können. Und wir sparen, damit vielleicht sogar noch ein wenig Geld für den Urlaub oder die kleinen Freuden des Lebens übrig bleibt. Abgekämpft kommen wir dann nach Hause und begeben uns an den Ausbau oder der Reparatur des Hauses, der Verschönerung des Gartens und verbringen – wenn es die Zeit erlaubt – noch eine halbe Stunde mit unseren Kindern. Danach Essen, die Kinder ins Bett bringen und das war’s für heute. Auf der Couch schlafen wir vorm Fernseher ein. Gemeinsame Gespräche, die unsere Frauen noch gern führen möchten, schaffen wir einfach nicht mehr. Morgen ist ein neuer Tag.

Mal ganz ehrlich. Verbringen wir nicht alle einen großen Teil unseres Lebens auf der Arbeit? Und unser Privatleben, wir selbst bleiben auf der Strecke?

Tag um Tag und Woche um Woche, Monat für Monat leben wir nur noch für den Urlaub oder einen freien Tag in der Woche – wenn überhaupt. Wir gewöhnen uns schleichend an ein Leben, das wir doch so gar nicht wollten. Natürlich gehören der Job und auch wiederkehrende Verpflichtungen und Abläufe zum Leben dazu. Schließlich brauchen wir alle auch Sicherheit und so etwas wie Berechenbarkeit. Gut tun sie uns dann, wenn… ja wenn diese wiederkehrenden Abläufe und Verpflichtungen oder auch unser Job uns stärken. Wenn wir positive Kraft daraus ziehen können. Genau das gilt auch für unsere Partnerschaft. Sie soll uns Sicherheit geben und wir wollen unsere Kraftreserven in ihr auftanken.

In der Anfangsphase klappt das auch wunderbar. Wir schreiben uns kleine Liebesbotschaften oder umarmen uns voller Freude, endlich wieder bei diesem wundervollen Menschen sein zu dürfen. Wir genießen vor dem Einschlafen oder nach dem Aufwachen die kurzen Momente des sich aneinander Kuschelns.

Doch mit der Zeit werden wir für diese Aufmerksamkeiten immer unachtsamer und freuen uns irgendwann nicht mehr über diese kleinen Geschenke der Liebe. Sie werden zur Normalität oder vielleicht empfinden wir sie auch als kitschig oder kindisch. Schließlich wollen wir „unseren Mann“ stehen und der Welt und unserer Frau zeigen, dass wir keine Weicheier sondern echte Männer sind. Folglich stellen wir – und meist kurze Zeit später auch unsere Partnerin – diese  Aufmerksamkeiten ein. Der Alltag wird immer trister und grauer, aber so ist das Leben eben. Das wird sich schon auch irgendwann wieder geben…

Klar, wir sind in kurzen Momenten vielleicht auch mal traurig darüber. Sagen aber lieber nichts. Wir ahnen ja auch nicht, dass diese fehlenden kurzen „Tank- und Raststopps“ uns so schaden könnten…

Bei manchen Partnerschaften geht es noch Jahre so weiter, andere Partnerschaften werden schneller auf den Prüfstand gestellt. Spätestens wenn wir Männer die ersten Vorwürfe zu hören bekommen: „Du liebst deine Arbeit mehr als mich!“ oder „Du bist immer nur erschöpft“ sollte unsere rote Warnleuchte anspringen: Zeit für eine Inspektion. Zeit inne zu halten und unser Beziehungs-Navi zu überprüfen. Bringt es uns noch wirklich zu unserem gemeinsamen Ziel? Oder hat es längst unsere gemeinsamen Beziehungs-Ziele durch die anderer Menschen z.B. unserer Chefs, unserer Freunde, der Gesellschaft ersetzt und gespeichert? Ist die Kritik unserer Frauen vielleicht nicht ganz unberechtigt?

Was tun wir? Durch die Vorwürfe fühlen wir uns gekränkt, denn schließlich rackern wir uns ja für die Familie ab!

Mal ganz ehrlich… wenn unsere eigene Frau keinen Sex mehr mit uns haben will, wenn sie vielleicht sogar beginnt mit der Trennung zu drohen, dann endlich dämmert`s vielleicht auch uns Männern. Dann beginnen wir uns zu fragen, wann wir Zeit für uns selbst haben, für unsere Beziehung, für all das was uns mal Spaß gemacht hat und uns früher gemeinsam mit unserer Frau so wichtig war?

Statt jedoch mit ruhigem Kopf rational gemeinsam zu überlegen, was wir in Zukunft anders, besser machen können, welchen Weg wir uns bewusst gemeinsam suchen und welche Ziele wir beide zusammen erreichen möchten, kontern wir gesteuert von unseren Emotionen: „Was soll ich denn noch alles machen?“, „Du bist doch hier diejenige, die Zeit hat sich mit Freundinnen zu treffen, sich mit den Kindern auf dem Spielplatz eine schöne Zeit zu machen!“

Eine Paarbeziehungen ist nicht etwas, das von selbst funktioniert

Wenn wir selbst unausgeglichen sind und nicht für uns sorgen, dann kommt irgendwann die Zeit, da reicht unsere Kraftstoffreserve nicht mehr aus. Dann sind wir „auf“ und unsere Emotionen übernehmen die Regie: wir fragen uns erbost, ob wir nicht ein bisschen Ruhe und Rücksicht verdient haben? Wir haben uns doch schließlich aufgeopfert für die Frau, die Kinder, die Eltern, vielleicht auch sogar noch für die Freunde.

Unsere Partnerin hat sich inzwischen irgendwie von uns weg entwickelt und nennt das selbst „persönliche Weiterentwicklung“. Naja, schließlich hatte sie ja auch Zeit! Dagegen ist unser Leben an uns vorbei gelaufen. Pech gehabt!

Hand auf`s Herz, ist das wirklich so? Verlieren wir Männer, wenn wir nicht gut aufpassen, unser privates Leben, unsere eigene persönliche Weiterentwicklung und die als Paar einfach schneller aus den Augen als unsere Frauen? Ist das überhaupt so wichtig?

Leider stellen wir uns diese Fragen meist erst wenn sich unsere Partnerschaft und damit unser Leben schon in einer Schieflage befindet und unsere Frau nicht mehr will oder nicht mehr kann.

Erst dann fragen wir uns, wie all das passieren konnte, obwohl wir doch alles für die Familie getan haben. Bei anderen läuft es doch auch. Warum nicht bei uns?

Unsere Bedürfnisse und Prioritäten ändern sich

Prioritäten verändern sich wenn Lebensumstände sich verändern (z.B. wenn Kinder dazu kommen, ein Partner krank wird oder wir unseren Job verlieren). Wir fühlen uns zu Hause nicht mehr wohl, und fügen uns schnell unserem Schicksal. Dieses Fügen sieht dann meist so aus, dass wir eben etwas länger im Büro bleiben, uns häufiger mit unseren Kumpels verabreden und uns beziehungsweise unserer Partnerschaft gegenüber immer nachlässiger werden.

Eine Partnerschaft lebt u.a. von gemeinsamen wertvollen Momenten, von gemeinsamen Unternehmungen. Sie bleibt lebendig durch Zeit für und mit dem Partner, Zeit für Nähe und Sexualität, Zeit für gemeinsame Unternehmungen und vor allem auch für ehrliche Gespräche.

Wir sollten uns viel öfter Zeit FÜReinenader nehmen. Zeit, in der wir uns in Ruhe darüber austauschen können, was wir beide anders machen können. Was sich unsere Partnerin von uns wünscht, was ihr fehlt und wie es uns mit ihr geht… Jetzt, wo Deutschland während der Fußball-WM bereits in der Vorrunde ausgeschieden ist, nutzen wir doch die frei gewordene Zeit für einen eigenen Beziehungs-Neustart.

Und auf die beiden Fragen vom Anfang gibt es eine ganz klare Antwort. Sie müssen nicht noch mehr für Ihre Partnerschaft, für Ihre Familie tun! Besinnen Sie sich vielmehr wieder auf das, was IHNEN wirklich gut tut und tun Sie es dann auch! Sobald Sie nicht mehr nur noch funktionieren, sondern wieder auf das achten, was Sie und Ihre Frau wirklich brauchen, beruhigen sich auch die Emotionen auf beiden Seiten. Wut und Ärger sind Hinweise darauf, dass wir unsere Bedürfnisse nicht genug beachten. Und Ihr Bedürfnis nach Nähe und Verständnis erreichen Sie nicht durch noch mehr vom Gleichen. Besinnen Sie sich auf Ihre Anfangszeit zurück. Was haben Sie da anders gemacht? Und wenn Sie das wissen, dann probieren Sie es wieder aus. Auf geht`s!

Unser Praxistipp:

Schreiben Sie Ihrer Partnerin einen Brief aus der Zukunft. Versetzen Sie sich in Ihrer Fantasie einige Wochen oder Monate weiter. Beschreiben Sie, wie und wodurch sich Ihre Beziehung wieder positiv und erfüllt anfühlt. Wie Sie dort hingekommen sind, welche Schritte Sie allein und welche Sie gemeinsam mit Ihrer Partnerin unternommen haben. Erzählen Sie in diesem Brief Ihrer Partnerin davon, welche wunderschönen Möglichkeiten darauf warten, von Ihnen gemeinsam noch gelebt zu werden. Und bedanken Sie sich am Ende des Briefes für die bisherigen schönen Zeiten, die Geduld Ihrer Partnerin in den schwierigen Zeiten und das Vertrauen, dass Ihre Frau in Sie bisher gesetzt hat. Dann überreichen Sie den Brief Ihrer Frau oder schicken Sie ihn ganz oldschool einfach per Post. Probieren Sie hier ruhig etwas unerwartetes, neues aus. Das zeigt, dass Sie bereit sind die eingefahrene Strecke zu verlassen und neues zu wagen!

Wir wünschen Ihnen dafür Mut, Vertrauen in und Neugier auf eigene, auch ungeahnte Möglichkeiten und Potenziale. Wir wünschen Ihnen Wohlwollen angesichts eigener Fehler und der Fehler Ihrer Frau und wieder mehr qualitative Zeit für Sie und Ihre Partnerin.

Lassen Sie es sich wieder gut gehen…

Ihr Jörg Janzen

Coaching & Paarberatung Kerstin Janzen

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